Hämolytische Anämie

Inhalt

Form und Ursache

Diese Form der Anämie entsteht durch einen gesteigerten Abbau bzw. Zerfall (= Hämolyse) der roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Der beschleunigte Abbau führt zu einer Verkürzung der Lebensdauer derselben (normal ca. 120 Tage). 

Die Ursache für die Hämolyse liegt entweder in den roten Blutkörperchen selbst (korpuskuläre Formen der hämolytischen Anämie) oder in äußeren Faktoren (extrakorpuskuläre Formen der hämolytischen Anämie). Je nach Ort des Zerfalls kann zwischen intravasaler (innerhalb der Blutgefäße) und extravasaler (außerhalb der Blutgefäße durch Makrophagen) Hämolyse unterschieden werden.

Der normale Abbau überalterter roter Blutkörperchen (Erythrozyten) erfolgt hauptsächlich durch die Makrophagen (große Fresszellen; histiozytäre Retikulumzellen) der Milz, aber auch in der Leber. Die Gesamtheit der in den verschiedensten Geweben vorkommenden Makrophagen bezeichnet man als das Retikulohistiozytäre (oder Monozyten-Makrophagen) System. Der normale Abbau erfolgt damit innerhalb der Zellen (intrazellulär), indem die Makrophagen die Erythrozyten aufnehmen und auflösen.

Der Hauptbestandteil der Erythrozyten ist der rote Blutfarbstoff (Hämoglobin). Er stellt 90 Prozent des Gesamteiweißgehaltes der Erythrozyten. Beim Abbau von Hämoglobin entsteht Bilirubin, das über die Leber in die Galle ausgeschieden wird. Die Leber wird vom anfallenden Bilirubin überfordert, weil es in so großer Menge beim Zerfall bzw. Abbau der Erythrozyten anfällt. Eine Zunahme von Bilirubin im Blut führt dabei zu einer Gelbfärbung der Haut und – als erstes ersichtlich – der Bindehaut des Auges. Hierbei ist anzumerken, dass die Gelbsucht zahlreiche Ursachen hat. Die hämolytische Anämie ist nur eine davon.

Erythrozyten-Defekte

Welche Ursachen für einen gesteigerten Abbau oder Zerfall der roten Blutkörperchen gibt es?

Membranopathien (Störungen der Blutkörperchenform)

  1. Angeborene
  2. Kugelzellanämie (Sphärozytose) 
  3. Elliptozytose
  4. Erworbene
  5. Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (äußerst selten)

Die angeborenen Formen werden normalerweise bereits im Kindes- und Jugendalter festgestellt. Die Ursache liegt in genetisch bedingten Defekten von Membraneiweißen oder des Stützgerüstes (Cytoskelett). Zum Überleben benötigen die Erythrozyten eine elastische Verformbarkeit, um die engen Blutgefäße (Kapillaren) bzw. das Maschennetz der Milz passieren zu können. 
Mit dem Alter verlieren sie diese Verformbarkeit und bleiben vorzugsweise in der Milz hängen, um dort von den Fresszellen abgebaut zu werden. Die Membranstörung führt zu einer Einschränkung der Verformbarkeit und äußert sich in Formänderungen der Erythrozyten (als Kugelzellen oder ellipsenförmig). Der Abbau erfolgt daher in der Milz, die aufgrund ihrer Mehrarbeit auch vergrößert wird.

Angeborene Störung des Blutkörperchenstoffwechsels (Enzymopathien)

Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel (Favismus)

Sie zählt zu den häufigsten Erbkrankheiten und führt zu einer erhöhten Anfälligkeit der Erythrozyten für eine oxidative Schädigung. Sauerstoff und radikale Sauerstoffverbindungen stellen für die Zelle eine ständige Gefahr dar. Die Verbindungen müssen in ihrer Menge durch so genannte Antioxydantien (z. B. Vitamin C) kontrolliert werden. Der Enzymmangel (Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase) führt zu einer Verminderung dieser Antioxydantien und es kommt zu einer Schädigung von Eiweißmolekülen, die sich in einer Einschränkung der Verformbarkeit auswirkt und die Lebensdauer daher verkürzt. Der Abbau erfolgt auch hier in der Milz. Verschiedene Nahrungsmittel (Saubohnen = Favabohnen) und insbesondere Medikamente (Acetylsalicylsäure, Malariamittel, Sulfonamide) können dabei durch eine Anhäufung von Sauerstoffradikalen eine verstärkte Hämolyse auslösen.

Pyruvatkinasemangel (sehr selten; Verlauf wie Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel)

Angeborene Störungen in der Bildung des roten Blutfarbstoffes (Hämoglobinopathien)

Antikörperbedingte Hämolyse

  • Autoantikörper (Antikörper gegen körpereigene Blutkörperchen): Sie ist die häufigste Form der Hämolyse. Die Bildung der Autoantikörper kann ohne erkennbare Ursache (primär) oder im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen auftreten (sekundär, z. B. Lupus erythematodes, Non Hodgkin Lymphome, Infektionen etc.). Die Hämolyse kann intra- oder extravasal erfolgen.
  • Blutgruppenunverträglichkeit, z. B. durch eine Bluttransfusion einer nicht-blutgruppengleichen Blutkonserve (durch Isoimmunantikörper).

Mechanische Hämolyse

  • Künstliche Herzklappen
  • Verengung der kleinen Blutgefäße (Mikroangiopathie)

Hier zerschellen die Erythrozyten an mechanischen Hindernissen im Blutkreislauf. Charakteristisch ist das vermehrte Auftreten von Fragmentozyten (Bruchstücke der Erythrozyten). Die Hämolyse erfolgt innerhalb der Blutgefäße (intravasal).

Vergrößerte Milz (Splenomegalie)

Viele verschiedene Erkrankungen führen zu einer Milzvergrößerung. Die Zunahme der Größe führt auch zu einer Zunahme der zum Abbau zur Verfügung stehenden Oberfläche. Dabei wird die Aufenthaltsdauer der Erythrozyten erhöht.

Infektionen

Hier erfolgt die Schädigung durch die Erreger direkt (z.B. bei Malaria), oder durch die Infektion ausgelöste Produktion von Antikörper gegen körpereigene Blutkörperchen (Auto-Antikörper).

Nierenversagen

Durch Schädigung der Erythrozyten durch Giftstoffe bei Nierenversagen (urämische Toxine) oder in Form einer mechanischen Hämolyse (siehe oben).

Giftige Substanzen (Toxisch)

Medikamente

Welche Symptome treten bei einer hämolytischen Anämie auf?

Im Rahmen der Hämolyse wird der in den Blutkörperchen enthaltene rote Blutfarbstoff (Hämoglobin) frei. Dieser und seine Abbauprodukte, unter anderem das Bilirubin, sind bei manchen Formen vermehrt im Blut vorhanden und führen zu einer gelblichen Verfärbung der Haut und der Bindehäute (Ikterus). Es können sich auch häufiger Gallensteine als Folge einer Überladung durch Bilirubin (Pigmentsteine) bilden.

Bei einer plötzlich eintretenden, massiven Auflösung der roten Blutkörperchen (Hämolyse) spricht man von einer hämolytischen Krise. Solche Krisen können u. a. beim Favismus (siehe oben), bei der Sichelzellenanämie und bei Transfusionszwischenfällen auftreten. Die Anzeichen sind Fieber, Schüttelfrost, Kreislaufstörungen bis zum Kollaps, Bauch-, Rücken- und Kopfschmerzen, bierbrauner Urin und später die Gelbfärbung der Haut.

Zusätzlich finden sich bei der Hämolyse die allgemeinen Symptome der Blutarmut (Anämie) in Form von Müdigkeit, Mattigkeit, Konzentrationsstörungen, erhöhter Herzfrequenz, Blässe sowie gelblicher Färbung. Die Symptome sind insbesondere abhängig von der Geschwindigkeit, in der sich die Anämie bzw. die Hämolyse entwickelt hat. Je rascher desto ausgeprägter die Symptome (Atemnot unter Belastung oder in Ruhe).

Bei einer langsamen chronischen Entstehung oder bei den angeborenen Formen besteht zumeist eine Anpassung, so dass der Patient trotz niedriger Hämoglobinwerte kaum Symptome äußert. 

So liegen etwa bei einer akuten Hämolyse mit einem Hämoglobin von 7 g/dl schwere Symptome der Anämie vor (Kollaps, Atemnot, hohe Herzfrequenz), wobei bei chronischer Ausbildung fast keine Beschwerden geäußert werden.

Wie stellt der Arzt die Diagnose?

Da die meisten Formen der durch Erythrozytendefekte verursachten hämolytischen Anämien vererbt werden, ergeben sich erste Hinweise aus der Krankengeschichte (Anamnese). Der Patient schildert mehr oder weniger eindrücklich die angeführten Anämiesymptome. Gegebenenfalls ist eine Gelbfärbung der Augenbindehaut oder Haut auffällig. Bei einer akuten Hämolyse klagt der Patient auch über braunen Urin (als Folge der Bilirubin- und Hämoglobinausscheidung).

Diagnosesicherung

Zur Diagnosesicherung werden Blutuntersuchungen durchgeführt:

Blutbild: Die roten Blutkörperchen (Erythrozyten), der rote Blutfarbstoff (Hämoglobin) und der Hämatokrit (siehe auch Anämie allgemein) sind vermindert. Die Vorstufen der roten Blutkörperchen (Retikulozyten) sind vermehrt (als Zeichen einer ausgleichenden gesteigerten Neubildung im Knochenmark).

Bilirubin (ein Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffes) ist erhöht infolge des vermehrten Hämoglobinabbaus.

LDH, ein in allen Zellen vorhandenes Enzym, ist als Zeichen des gesteigerten Zellzerfalls erhöht.

Haptoglobin, ein Bluteiweiß, das der Bindung von freiem Hämoglobin dient (als Schutz vor der Ausscheidung über die Niere), ist vermindert (durch Verbrauch; insbesondere bei intravasaler Hämolyse).

Blutausstrich: Hier zeigen sich Formveränderungen, die Hinweise auf angeborene Störungen geben können (Kugelzellen, Elliptozytose, Fragmentozyten).

Coombs-Test zum Nachweis von Antikörpern gegen Erythrozyten.

Bestimmung der Milzgröße mittels Ultraschall als mögliche Ursache oder Begleitsymptom.

Hämoglobinelektropherese zum Nachweis von genetisch bedingten Hämoglobin-Bildungsstörungen (z. B. Nachweis von Sichelzellhämoglobin).

Spezielle Untersuchungsmethoden zum Nachweis von Enzym- und Membrandefekten.

Wie erfolgt die Behandlung?

Die Behandlung der hämolytischen Anämien richtet sich nach der Ursache, die trotz der umfangreichen Untersuchungsmöglichkeiten nicht immer einfach festzustellen ist. 
Die Gabe von Blutkonserven sollte nur bei absoluter Notwendigkeit erfolgen. Diese richtet sich nicht nach dem Hämoglobinwert, sondern nach dem Befinden des Patienten. Das Problem liegt in dem Umstand, dass auch die zugeführten Erythrozyten einer Hämolyse unterliegen können. Die Beseitigung der auslösenden Ursache ist alleinig Erfolg versprechend. Bei Kugelzellanämie und Pyruvatkinasemangel kann die Entfernung der Milz in Betracht gezogen werden. Dadurch wird die Möglichkeit des Abbaus eingeschränkt, insbesondere bei einer vergrößerten Milz (wie bei den angeborenen Formen der Fall). Beim Favismus sollen gewisse Lebensmittel (Bohnen) und Medikamente (siehe oben) gemieden werden. Bei Autoimmunhämolyse werden Glucocorticoide und Immunsupressiva verabreicht.